Ein Blick in unseren Wald, von Alexander Mock

Es ist Anfang September, ich steh mit einem Forstexperten im Wald und es regnet, ganz leicht. Nichts Außergewöhnliches zu dieser Zeit?  Doch, der Himmel ist blau und was vom Himmel fällt sticht auf der Haut. Es sind Nadeln, von Fichten, die sich aufgeben. Sie können sich nicht mehr wehren. „Sie sind Tod“ sagt mein Begleiter und zeigt in den roten Himmel über uns. Sie stehen noch so lange, bis sie von Waldarbeitern gefällt werden und wenn die nicht kommen, wird sie ein Herbststurm umwerfen. Aber es kommt kein Forstunternehmen. Der Tod lauert derzeit in vielen Wäldern und die „Bestatter“ wissen nicht mehr wo sie anfangen sollen.  „Sie hat sich noch gewehrt“ höre ich die Stimme meines Gegenübers in einem verzweifelten Ton sagen.

Wir sind im Süden von Hochspeyer, auf der Flur, am Rande des Meisenkopfes. Vom Hochspeyerer Norden schaut man über den Ort direkt auf die braunen Flecken am Waldrand. Der Experte weiß sofort, was dort los ist. Wir wollten uns den Schadensumfang ansehen. Ich hatte es nach dem trockenen Vorjahr geahnt. Gehofft, dass der Winter die fehlenden Niederschläge bringt. Auch dieses Jahr wieder viel zu trocken. Eine Fichte liegt am Boden. Der sogenannte Wurzelteller steht senkrecht aus der Erde. Wie bei Peter Wohleben gelesen, maximal 30cm dick ist das Wurzelsystem ausgebildet. Wie soll die Fichte da an Wasser gelangen. Dort wo sie heimisch ist, sind die Böden feucht, die Temperaturen mild und die Vegetationszeit kurz. Dort kann sie gut leben, so wie bei uns bis vor wenigen Jahren. Über die feinen Wurzeln wird Wasser aufgenommen und im Bauminnern bis in die Krone transportiert. Bis zu 30m hoch, dass schaffen nur Top-Pumpen. Die Natur hat sich dafür die Kapillarwirkung und den Verdunstungsstrom in den Blättern / Nadeln zu Nutzen gemacht. Im Wurzelbereich werden die Feinwurzeln von Pilzmycelen mit Mineralien versorgt, die diese dem Boden entziehen. Als Gegenleistung bekommen die Pilze Kohlenhydrate, die der Baum über Photosynthese in den Nadeln erzeugt und über die äußerste Schicht, dem Bast von der Krone bis zu den Wurzeln leitet. Diese gegenseitige Unterstützung nennt man Symbiose. Fällt ein Partner aus, geht es dem anderen schlecht.

In dem Nährstoffstrom des Bastes, der zwischen dem Kambium (Wachstumsschicht) und der Borke liegt, fühlen sich auch Larven des Borkenkäfers wohl. Einer der von den Forstleuten sehr gefürchtet wird, ist der Buchdrucker. Der Käfer befällt nicht nur -aber mit Vorliebe- Fichten, die durch Trockenstress geschwächt sind. Ein gesunder Baum kann sich durch die Bildung von Harzen an den Einstichstellen wehren. An einigen Bäumen können wir den Harzfluss erkennen. Hier können wir nichts mehr tun. Wir fahren den Waldrand entlang, über das Hasenheim zum Sindeltal. Unterwegs sehen wir bereits abgeholzte Waldparzellen auf denen sich schon Pionierpflanzen angesiedelt haben. Es dauert Jahrzehnte bis sich hier wieder ein intakter Wald gebildet hat. Wir biegen trotz eines Warnschildes, das auf Forstarbeiten hinweist, links in das Sindeltal Richtung Tiefbrunnen. Mein Mitfahrer will mir seinen Wald zeigen und ist wie immer neugierig, wer mit der Motorsäge im Wald unterwegs ist. Man kennt sich in der Branche. Kaum sehen wir die Forstfahrzeuge, da höre ich auch schon meinen Nebenmann rufen, „Ach Uwe, Du bist es ….“ Uwe Labenski begrüßt uns freundlich. Kein Anschiss wegen des nicht Beachtens des Verbotsschildes. Er kennt uns und weiß, dass wir die Regeln des Waldes beherzigen. „Fichtenholz, nichts wie Fichtenholz“ ruft er und zeigt auf die befallenen Stämme. Mit seinem Sohn führt er ein Forstunternehmen und fällt  seit Monaten im Auftrag des Forstes „Käferholz“ das keiner will. Der Markt ist überschwemmt. Sein Sohn hebt ein Stück Rinde ab, und zeigt uns die Larven. Ca. 50 weiße bis leicht bräunliche Tiere entdecken wir  unter einem Borkenstück, das so groß wie ein A4 Blatt ist. „Sie befallen hauptsächlich den oberen Stammbereich“ informiert er uns, als ich am Stammfuß weitere Rinde entfernen möchte. Die Männchen legen, nachdem sie sich durch die Rinde gefressen, haben sogenannte Rammelkammern an. Nach der Paarung fressen die Weibchen Gänge für die Brutablage aus. Ist der Baum geschwächt und leicht zu befallen, senden die Schädlinge Geruchsstoffe aus und locken somit weitere Buchdrucker an. Die Invasion beginnt. Durch die zahlreichen Fraßgänge im Bast wird der Nährstoffstrom von der Krone zur Wurzel unterbunden. Die Versorgung des Baumes mit Nährstoffen versiegt. Die Larven entwickeln sich und suchen einen neuen Baum. Meist sind die Schadinsekten schon bei ihrem nächsten Opfer, wenn der Forstmann den toten Baum fällt. „Gerade die frisch befallenen und noch grünen Bäume gilt es zu entfernen, wenn wir diesen Kampf gewinnen wollen. Meist kommen wir zu spät“, stellt der Forstunternehmer ernüchternd fest.

Dichte Fichtenbestände, die befallen sind, hinterlassen große Lichtungen, nachdem sie entfernt wurden. Auf diese scheint die Sonne, trocknet den Boden aus und bringt die Mikroorganismen, die Humus zersetzen auf Hochtouren. Dabei steigt die C02 Freisetzung rasant an. Die Besiedlung mit jungen Bäumen ist teuer und wenig erfolgversprechend. Junge Triebe werden gerne von Rehen angebissen und haben selbst im Schatten anderer Bäume wenig Wasser um zu überleben.     

Uwe macht Pause und wartet auf einen Privatwaldbesitzer, der auch Opfer der Käferplage geworden ist. Auch hier wird der Forstunternehmer  gefragt sein. 25 bis 30 EUR zahlen Waldbesitzer für die Beseitigung eines Festmeters Fichtenholz. Beim Verkauf des Holzes erzielt man meist ca.  1/3  der Kosten. Bestenfalls geht die Schadensbeseitigung kostenneutral von statten.

Ernüchtert aber nicht wirklich überrascht laufen wir wieder zum Auto. „Wir brauchen mehr Zeit“ höre ich Vitus sagen, „mehr Zeit bis die jungen Bäume angewachsen sind“. Wir haben es vor Jahren schon kommen sehen und unsere Wälder begonnen umzustrukturieren. Inspiriert durch Peter Wohleben, die Plenterwirtschaft eingeführt. Unterschiedliche Baumkulturen in unterschiedlichen Altersstadien angelegt. Ich lasse meine Fichten so lange stehen, bis sie der Käfer befällt. Die jungen Bäume die ich gesetzt habe, können so im Schatten der Altbäume ausgiebig verwurzeln und langsam heranwachsen. Buchen, Douglasien und Eichen sind sehr robust und  trotzen dem Klimawandel besser als die Fichte. Sie warten im Schatten bis die  Kronen der Fichten verschwinden und  Licht  auf sie fällt. Dann legen sie los. Sie wachsen und ihre ausladenden  Äste verschatten den Boden. Springkraut, Brombeere und andere Untergehölze gehen durch den Lichtentzug zu Grunde. Die Buche ist brutal, Eiche und Douglasie genügsamer dafür noch widerstandsfähiger. Die Ortsgemeinde besitzt 58 Hektar Wald und ein Großteil davon ist Fichtenbestand. Aber auch viele Privatwaldbesitzer haben von ihren Vorfahren Fichtenwälder geerbt, für die sie nun Verantwortung übernehmen müssen. Es kommt einiges auf uns zu. Unser Wald wird sich verändern. Wir Menschen müssen es, sonst haben wir die Bilder vom Brasilianischen Regenwald  bald direkt vor unserer Haustür.